«Wie geht es Dir?»

Wann haben Sie diese Frage zum letzten Mal jemandem gestellt? Heute, gestern? Spontan oder überlegt? Waren Sie bereit, sich Gefreutes anzuhören oder sich möglicherweise auch auf Schwieriges einzulassen? Hatten Sie die Geduld, Ihrem Gegenüber einfach zuzuhören, es ausreden zu lassen? Wie haben Sie reagiert, als Sie einzig ein verhaltenes «gut» zur Antwort bekamen? Haben Sie das nur Angedeutete überhört oder daran angeknüpft und nachgefragt? Wie gingen Sie mit Ihrer Ohnmacht um, vielleicht keine guten Ratschläge erteilen zu können? Setzte Sie das unter Druck? Wann wurde Ihnen diese Frage zum letzten Mal gestellt? Schätzen Sie es, nach Ihrem Ergehen gefragt zu werden? Hatten Sie überhaupt das Bedürfnis, ehrlich zu antworten? Wollten Sie über etwas Positives berichten oder über etwas, das Sie belastet? Hatten Sie den Eindruck, Ihr Gegenüber höre Ihnen aktiv zu? Woran merkten Sie das? Wie reagierten Sie auf Beschwichtigungen, dass doch alles nicht so schlimm sei? Oder auf Vorschläge, gefragte wie ungefragte? Spürten Sie bei Ihrem Gegenüber Mitleid oder Empathie? Was im Kontakt mit diesem Menschen änderte etwas an Ihrer Befindlichkeit? Würden Sie sich wünschen, künftig anders gefragt zu werden?

Fragen über Fragen! 

«Wie geht es Dir?», dürfte eine der am häufigsten gestellten Fragen sein; und wohl eine der kompliziertesten. Spektrum und Facetten dieser Frage, so oder ähnlich gestellt, sind reich: Sie gehen von Suggestion («Dir muss es aber gut gehen, so wie Du aussiehst!») über Belanglosigkeit (weil unverbindliche Standardfrage) bis hin zu echtem Interesse («Was bewegt Dich?»). Oft ist diese Frage blosser Auftakt für eine Begegnung, eine Floskel vermeintlich sozial geschuldeten Anstands, gewissermassen ein Reflex bei Sichtung des Gegenübers. So gesehen ist die Frage harmlos, eine alternative Form der Begrüssung, manchmal bloss aus purer Verlegenheit: Wer fragt, ist möglicherweise gar nicht auf eine Antwort aus, jedenfalls nicht auf eine, deren Ausformulierung etwas Zeit benötigt; wer antwortet, möchte dem Gegenüber seine Befindlichkeit vielleicht gar nicht offenlegen.

Sich beim Anderen nach seinem Ergehen zu erkundigen, dient zudem häufig ganz einfach einer ersten, vorsichtigen und noch unverbindlichen Verortung seines Befindens: Abhängig von einer ersten Reaktion müssen Fragende dann (für sich) entscheiden, ob sie sich – jetzt oder später – auf eine Vertiefung der Begegnung einlassen wollen, können und mögen. Wer ehrlich und verbindlich auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, wahrt ebenso seine Glaubwürdigkeit wie derjenige, der aus nachvollziehbaren Gründen auf mehr Zuwendung verzichten will.

An Dynamik gewinnt die Frage, wenn sie aufrichtig gestellt ist oder wenn auf Signale in der Antwort hin nachgefragt wird. Das bekundet echtes Interesse am Gegenüber. Jetzt muss auch es darüber entscheiden, ob es sich überhaupt auf ein solches Angebot einlassen möchte. Tut es das, öffnet sich der Weg für ein offenes Ohr, für einen gegenseitigen Austausch, für eine Entwicklung oder für etwas ganz Neues.

Seinen Entscheid darüber, sich zu öffnen, macht ein Mensch regelmässig von den Umständen abhängig: Zuallererst vom Vertrauen in die Person des Andern, die ihn fragt; dann von der erwarteten Zeit, die ihm zur Verfügung steht; und schliesslich davon, in welcher Umgebung und Atmosphäre eine solche Begegnung stattfindet.

Wer aktiv zuhört, darf zunächst vor allem schweigen. Sein Reden würde das Gegenüber ohnehin nur von seinen eigenen Gedanken ablenken. Verständnisfragen sind erlaubt, denn sie signalisieren Präsenz. Empathie ist erwünscht, nicht aber Mitleid; denn nur echte Anteilnahme stützt das Gegenüber, Bedauern dagegen lässt es alleine.

Fragen nach Bedürfnissen und nach vorhandenen Ressourcen unterstützen besser als das Erteilen (ungefragter) Ratschläge: Was wäre jetzt wichtig für Dich? Was hat Dir in vergleichbaren Situationen geholfen? Wenn plötzlich alles gut wäre: Woran würdest Du das merken? Was kannst Du selber dazu beitragen? Kann auch ich Dich dabei unterstützen?

Als Menschen sind wir mit Begriffen wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Eintreten für Andere vertraut. Die Frage «Wie geht es Dir?» ist deshalb eine Form der Zuwendung. Sie sollte daher bewusst gestellt werden, aus echtem Interesse am Mitmenschen, nicht als einfache Floskel oder aus Verlegenheit.

Gibt es allenfalls sinnvolleres, überlegteres, behutsameres Fragen als die Allerweltsfrage «Wie geht es Dir?»? Müssen wir denn überhaupt immer mit Worten nach dem Ergehen fragen?

Wie würden Sie sich wünschen, dass Ihnen Ihr Gegenüber begegnet, Sie anspricht, sich auf Sie einlässt ...?

Wie werden Sie nun den nächsten Mitmenschen ansprechen, dem Sie begegnen?